Marvel schickt sein Anti-Helden-Team Thunderbolts los, und was dabei heraus kommt, erinnert nicht nur an die frühen Marvel-Filme, sondern debatiert auch tiefgründige menschliche Fragen.
von Susanne Gottlieb, 2. 5. 2025
Die Avengers sind tot, lang leben die neuen Avengers. Oder so. Das Marvel Cinematic Universe braucht eine neue Heldentruppe, und die besteht diesmal rein aus einem Haufen Antihelden. Warum das aber Spaß macht, und zum ersten Mal seit langem wirklich tief greift und zu einer emotionalen Abhandlung über Depression, Trauma, Hochstapler-Syndrom und Einsamkeit wird, lest ihr hier.
Wir haben sie bereits als Drahtzieherin in zahlreichen Post-Credit-Szenen und Marvel-Serien gesehen, nun wir die CIA-Direktorin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) endlich zu einem Hauptgegenspieler in Thunderbolts. Jahrelang hatte sie illegale Experimente in den verschiedensten Ecken der Welt betrieben. Nun wird sie von der U.S.-Regierung wegen illegaler Aktivitäten angeklagt und vor ein Untersuchungskommando gestellt. Um ihre Spuren zu verwischen, schickt sie ihre Handlanger los, um die Beweise zu beseitigen. Darunter auch Black Widow Yelena Belova (Florence Pugh), die seit dem Tod ihrer Schwester an Einsamkeit und Sinnlosigkeit im Leben leidet. Sie erklärt sich bereit, einen letzten Job für Valentina zu übernehmen und jemand, der in ein geheimes Lager eingedrungen ist, umzulegen.
Doch vor Ort merkt sie, dass sie nicht die Einzige mit diesem Auftrag war. Auch John Walker / U.S. Agent (Wyatt Russell), Ava Starr / Ghost (Hannah John-Kamen) und Antonia Dreykov / Taskmaster (Olga Kurylenko) sind alle hierher beordert worden, um sich gegenseitig zu bekämpfen. Doch diese letzte Zeugenbeseitigung geht schief, als das Team beginnt zusammenzuarbeiten. Und dann ist da auch noch Bob (Lewis Pullmann), der in dem Lager aus einer der Kisten klettert. Was hat es mit dem tapsigen, sich an nichts erinnernden Typen auf sich? Doch bald überschlagen sich die Ereignisse. Ein neuer Superschurke wird geboren und die Valentinas Söldner treten gemeinsam mit Yelenas Ziehvater Alexei Shostakov / Red Guardian (David Harbour) und Bucky Barnes/Winter Soldier (Sebastian Stan) in den Kampf gegen Valentina und die Monster, die sie entfesselt hat.
Schon DC hatte mit seinem Suicide Squad die Anti-Helden, vielmehr Bösewichte, in den Kampf geschickt. Marvel positioniert nun sein eigenes Team. Einen Teil der Figuren kennt man bereits aus Filmen. Oder sollte man, denn der Auftritt der einen oder anderen Figur liegt einige Jahre zurück. Andere kennt man höchstens, wenn man die zahlreichen Serien gesehen hat, und hier schleicht sich bereits wieder das altbekannte Marvel-Problem ein, dass das Universum inzwischen so riesig und verzweigt ist, dass man sich zunächst nur wie in einer großen Fortsetzungsgeschichte, und nicht in einem eigenständigen Film fühlt.
Doch Thunderbolts hat noch so unverbrauchte Charaktere, dass er alsbald sein eigenes Tempo findet. Auch die Tatsache, dass hier ein Haufen Antihelden im Zentrum stehen, macht die ganze Angelegenheit ein wenig kantiger und düsterer. Düsterer ist auch das Stichwort, denn der Film stellt als zentrale Botschaft nicht höhere altruistische Ziele ins Zentrum. Noch erforscht er Trauma und Trauer mit so viel Tam Tam wie der letzte Doctor Strange. Viel mehr ist er trotz seiner großen Set Pieces und dem ganzen Trubel eine kleine, feine Geschichte über die Tücken der menschlichen Psyche.
Das offenbart sich in der zunächst mysteriösen Figur des Bob. Der Film mag zwar vor allem ein Vehikel für die großartige Florence Pugh sein, aber Lewis Pullman steht ihr von der Wirkung, die in er in diesem Film hat, um nichts nach. Zwischen dem charmant-hilflosen Bob und der dunkleren Seite, die er alsbald offenbart, ist es sein Mikrokosmos einer Figur, die eine ganze Bandbreite an Problemen eröffnet. Gezeichnet von einer dunklen, traumatischen Vergangenheit, von Einsamkeit und Versagensängsten wie all die anderen Thunderbolts-Mitglieder, steht er für die Aufforderung an das Individuum, seinen eigenen Wert zu erkennen. Seine Dämonen zu besiegen.
Das ist erstaunlich tiefgründig und von einer vergleichsweise geringeren Actionorgie geprägt als viele anderen Marvel-Filme der letzten Jahre. Man kann durchaus Beschwerden an einigen Stellen einbringen, zum Beispiel darüber, dass eine Figur schon viel zu früh raus geschrieben wird, oder dass die typische altbekannte Marvel-Gag-Maschinerie einige Male zu heftig kurbelt. Aber im Endeffekt ist es die menschliche Verbindung, das Gefühl nicht allein zu sein, das der entscheidende Faktor ist und diesen Film funktionieren lässt. Und Fans sollten sich vor allem auf die zweite Post-Credit-Szene freuen.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenThunderbolts ist ein nicht perfektes, aber durchaus gelungenes Team-up der Antihelden, das an den noch unkuratierten Charme der frühen Filme erinnert, wenn der Film auch schmerzhaft innerhalb der Formel existieren muss.
Was wird noch gespielt? Hier alle aktuellen Kinostarts des Monats
Reviews, Bestenlisten und Vorschauen zu Filmen und Serien findest du in unserem Seher-Bereich:
Die 10 besten Marvel-Filme gerankt
Star Wars: Andor – Staffel 2 Kritik
Die 55 besten Netflix-Serien aller Zeiten
Aufmacherfoto: (c) Walt Disney
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.