In seinem letzten Abenteuer wird Ryan Reynolds Deadpool genau zu dem Mainstream-Helden, der er eigentlich nie sein wollte.
von Susanne Gottlieb, 25. 7. 2024
2009, als Hugh Jackmans Wolverine seinen ersten Spinoff mit X-Men Origins: Wolverine bekam, hatte auch er seinen umstrittenen Auftritt: Wade Wilson, besser bekannt als der provokante, stets die vierte Wand brechende Mutant Deadpool. In dem Film aber großteils stumm und zu einer Deadpool-Wolverine-Chimäre umoperiert, waren die Fans so gar nicht begeistert. Am allerwenigsten Darsteller Ryan Reynolds selber, der daraufhin jahrelang versuchte, einen eigenen Deadpool-Film zu bekommen.
Mit ein wenig Unterstützung von Jackman selbst landete 2016 schließlich Deadpool in den Kinos. Ein Riesenhit. In den USA R-rated, mit viel Blut und Gewalt, nahm er süffisant und mit viel Karacho den modernen Superheldenfilm auseinander. In einer Zeit, wo das MCU noch Höhenflüge durchmachte, zeigte er der Formel den Mittelfinger. 2018 folgte ein Sequel, dann war lange Ruhe. Würde das familienfreundliche Disney nach der Übernahme von 20th Century Fox dem nicht jugendfreien Antihelden ein weiteres Abenteuer gönnen?
Die Antwort ist natürlich, bei all dem Geld, das die Deadpool-Filme eingespielt haben, und mit der potenziellen Cashcow, die eine Rückkehr von Jackman zur Rolle des Wolverine bedeuten würde: Ja! Aber leider ist es nicht der krönende Abschluss der Reihe geworden, den man sich erhofft hatte.
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Die besten Tage sind vorbei. Nach zwei Anarcho-Abenteuern scheint Deadpool (Ryan Reynolds), auch bekannt als Wade Wilson, in einer Quasi-Midlife-Crisis angekommen zu stecken. Er muss herausfinden, was er mit seinem Leben machen möchte. Vor allem, welcher Sache er es widmen will, die sich nicht allein um ihn dreht. Da wir nun bei Disney und seinem MCU sind, und hier das Reisen im Multiversum möglich ist, besucht er das Universum der Avengers, um sich um eine Stelle zu bewerben. Doch die Avengers lehnen ihn ab, und eine depressive Phase stellt sich ein. Sinn weg, Freundin Vanessa (Morena Baccarin) weg, statt Leute verprügeln einfach nur Autos verkaufen.
Doch als ihn der dubiose Time Variance Authority Agent Mr. Paradox (Matthew Macfadyen) zu sich in die Zentrale holt, wird alles anders. Wades Universum fällt in sich zusammen, weil sein Ankerwesen, der Mutant Wolverine (Hugh Jackman), verstorben ist. Paradox will aber nicht tausende Jahre warten, bis es so weit ist, und will es innerhalb weniger Stunden auslöschen. Deadpool soll die Möglichkeit bekommen, endlich in die Welt der Avengers zu wechseln. Doch dieser lässt es nicht so einfach auf sich sitzen, dass seine Liebsten verschwinden sollen und macht sich auf die Suche nach einem neuen Wolverine aus einem anderen Universum, um mit ihm seine Welt zu retten.
“Willkommen im MCU, du trittst an einem Tiefpunkt bei”, wirft Deadpool den noch schockierten Wolverine an einem Punkt zu. Treffender kann man es nicht auf den Punkt bringen. Seit Jahren leidet das Superhelden-Genre an seiner Überladenheit, seiner Formelhaftigkeit, wie eine Börsenblase, die schon längst geplatzt ist. Wahrlich müsste doch gerade ein selbstironischer Film wie die Deadpool-Reihe dies besonders gut zum Ausdruck zu bringen? Weit gefehlt. Du bist zu dem geworden, was du geschworen hattest zu zerstören, könnte man auch Ryan Reynolds und seinen Autoren-Buddys Rhett Reese, Paul Wernick, Zeb Wells und Shawn Levy vorwerfen. Einst eine brillante Parodie auf das Genre, fügt sich der letzte Deadpool-Film nun fast nahtlos in den formelhaften Größenwahnsinn anderer Comic-Adaptionen.
Da ist es auch völlig egal, dass Deadpool wiederholt die vierte Wand bricht und einen Gag nach dem anderen über seinen ehemaligen Arbeitgeber 20th Century Fox und den neuen Papa Walt Disney bringt. Letztendlich ist es ein klassischer Heldenfilm, in der so ziemlich alles reingeworfen wird, was das MCU in den letzten Jahren so produziert hat. Man muss die Serie Loki gesehen haben, um zu wissen, wer die Time Variance Authority ist. Man muss sich mit dem eher mauen Multiverse auseinander gesetzt haben. Und man muss gewillt sein, dass solche starken Momente, wie der Tod von Wolverine in Logan, eher zum Gag degradiert werden. “Nekrophilie” nennt Deadpool es belustigt, als er zu Beginn dessen Knochen ausgräbt und mit ihnen einen Haufen TVA-Agenten bekämpft.
Nekrophilie kann es man auch nennen, dass man sieben Jahre später auch Hugh Jackman nochmals zurück holt, um die Leute ins Kino zu locken. Jackman hat durchaus ein komödiantisches Talent, auch wenn er hier den straight man zu Reynolds Chaoten spielt. Aber die düstere Hintergrundgeschichte dieses Wolverines, der für den Tod der X-Men in seiner Welt verantwortlich ist, paart sich nicht mit dem Anarcho-Stil des restlichen Films. Der arme Jackman kaut an schweren Schuldgefühlen, wenn im nächsten Moment der Tod schon wieder wie ein Wegwerfgag verwendet wird.
Der Tod ist generell ein den ganzen Film durchziehendes Thema. Tod des X-Men-Univerums unter Fox, Tod und Vergessen jener Marvel-Superhelden, die schon vor dem großen MCU-Erfolg auf der Leinwand erschienen sind. Manche mit Erfolg, manche verpönnt. Mit ihnen ist eine Ära zu Ende gegangen. Eine Ära, in der Disney noch nicht alle Zügel in der Hand hielt. Dieser gefallenen Helden des Blockbuster-Franchises will Deadpool & Wolverine gedenken.
Die Symbolik, dass die TVA hier Universen zerstört, und nur die Sacred Timeline der Avengers bleiben soll, kommt also quasi mit der Faust aufs Auge. Bereits bekannt war vorab, dass Jennifer Garner als Elektra, Tyler Mane als Sabretooth und Aaron Stanford als Pyro zurückkehren würden. Aber auch sonst finden sich einige spannende Cameos. Von jenen die bewegten und auch von jenen, die beinahe ein Mutant gewesen wären. Dass dadurch aber genau jene etablierten geliebten Figuren, die Deadpool über zwei Filme eingeführt hatte, wie etwa Colossus oder Negasonic Teenage Warhead, schmerzlich zu kurz kommen, ist eine weitere Absurdität des Films. Was man den Cameos zugute halten kann: Sie sind witzig. Die wenigen Gags in dieser unlustigen Adaption, die auch wirklich sitzen.
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Mehr InformationenDer Tiefpunkt des MCU setzt sich mit dem neuen Deadpool leider weiter fort. Überladen, mit wenig ehrlichem Witz, ist er eher eine überkandidelte Möchtegern-Hommage an die frühen Marvel-Filme und kein spaßiger Abgang.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.