In ihrem neuen Roman Was über Frauen geredet wird liefert Mieze Medusa einen Ausschnitt aus dem Leben zweier Frauen in Österreich, ihrem Erleben sowie jenem ihrer WegbegleiterInnen und wirft dabei ein Licht auf so manchen Misstand unserer Gegenwart, ohne sich in negativem zu verbeißen. Hier übrigens noch 8 inspirierende Frauen-Romane.
Eine Kritik von Peter Marius Huemer. Der freie Schrifsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jeden Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
10. Jänner 2023: Laura hat gerade erst die Schule hinter sich gebracht und schon wird von ihr erwartet, sich für einen Lebensweg zu entscheiden. Dabei weiß sie gar nicht, was sie will. Sie will Zeit, es herauszufinden, hat aber das Gefühl, dass ihr ständig jemand im Nacken sitzt. Außerdem steht die Hochzeit ihrer großen Schwester an, und das bringt auch jede Menge ungekannte Verantwortung mit sich. Gleichzeitig bahnen sich im Leben von Fred, die sich in Wien mit einer Freundin eine WG teilt, Veränderungen an. Neue Bekanntschaften regen ihre Gedanken an und die aktuelle politische Situation im Land ist zum Weinen.
Lauras Handlung scheint auf den ersten Blick der einfachere, beruhigtere der zwei Stränge zu sein. Die Konflikte und Herausforderungen in ihrem Leben sind nachvollziehbar, voller Elemente, die wohl viele aus dem eigenen Leben kennen. Die Suche nach Inspiration, nach einem Ziel und gleichzeitig der ständige Kampf gegen die Erwartungen von Familie, Freunden und Gesellschaft. Es ist der ständige Vergleich, dem sich Laura nicht entziehen kann. Ihr abwesender Vater vergleicht sie beim Klettern mit ihrer Stiefschwester. Sie selbst vergleicht ihren eigenen Erfolg und ihren eigenen Intellekt mit jenem ihrer mitlerweile studierenden Freundinnen und die scheinbare Perfektion und Planung des Lebens ihrer älteren Schwestern ist stets präsent. Als leidenschaftliche Zeichnerin ist für sie das Motiv der Suche nach Inspiration, die sich an nichts bereits existierendem, nicht an irgendeiner Vorlage, messen will, ein passendes und beschreibt Lauras Handlung treffend. Ihre Episoden drehen sich oft um dieses Thema, selbst in einer unangenehemen Situation beim Autostoppen ist es das Fehlen der richtigen Worte, die Unsicherheit, die in Lauras Gedanken einen beinahe größten Raum einnehmen als die Gefahr, in der sie sich befindet.
Fred ist eine äußerst warme und empathische Person, weswegen in ihr auch eine kantigere und oft politische Wut schlummer, die immer wieder in sehr direkter Thematisierung aktueller und wichtiger politische Misstände in unserem Land zutage tritt. Da geht es von Altersarmut unter Frauen über die Zusammensetzung der Regierung hin zur normativ urteilenden Einstellung fremder Menschen auf der Straße. Es ist keine selbstgerechte, egozentrische Wut, die darauf abzielt, bloß eigene Probleme zu lösen, sondern ein tiefer Drang danach, die Welt für alle besser zu machen.
Verschiedene Aspekte dieses Kampfes für eine bessere Welt werden durch Freds Wegbegleiterinnen repräsentiert. Da ist Marlies, ihre Mitbewohnerin, die ihrer Liebe freien Lauf lässt und sich deshalb nicht in eine Ecke stellen lässt (was nur ein Aspekt dieses Charakters ist). Marlies ist auch die erzählerische Verbindung zu Laura, da sie die Schwester von Lauras zukünftigem Schwager ist. Ein Konflikt mit der konservativen Familie in Innsbruck hat sie nach Wien getrieben. Und da ist Milla, angehender Rap-Star, die kein Blatt vor den Mund nimmt und ihre aktivistische Energie in ihrer Kunst verwirklicht und die Menschen um sich mitreißt.
Fred bewundert diese Frauen und hilft ihnen, wo sie nur kann. Beinahe bis zur Selbstaufgabe unterstützt sie ihre Freundinnen. Dabei sucht sie selbst nach einem Weg, nach einer Zukunft, nach Halt. Die Verlockung des Einfachen, des Fremdbestimmten will dabei überwunden werden und eine Verwirklichung außerhalb der bekannten und akzeptierten Schablonen gefunden werden. Gerade weil sich in Freds Handlung nichts einfach fügt und nichts auf ein einfaches, befriedigendes Ende zuläuft, ist dieser Strang so überzeugend und zugänglich.
Mieze Medusas Sprache ist über jeden Zweifel erhaben. Sie findet fast immer die richtigen Worte und die richtige Satzkonstruktion, um den Rhythmus des Textes voranzutreiben. Es gibt hier nichts Verschlungenes, nichts Träges. Der Takt des Buches ist variabel, aber stets mitreißend. Kaum ein Buch liest sich so schnell und flüssig, weil man den Worten wie (thematisch passend) in einem Song folgt. Eine unhörbare Musik begleitet einen dabei und ist stets hinter den Sätzen präsent.
Einzig einige allzu direkt und explizit formulierte gesellschaftspolitische Passagen hemmen den Fluss. Die darin getroffenen Aussagen sind nachvollziehbar, richtig und passen in die Gedankenwelt der Figur, in deren Rede sie verpackt sind, aber sie sind nicht unbedingt organisch in den Text integriert und nehmen der Handlung den Wind aus den Segeln, weil man sich von einer Stimme, die außerhalb des Textes steht, direkt angesprochen fühlt. Vor allem wären sie nicht unbedingt notwenig, um die darin enthaltende Botschaft klar und deutlich zu kommunizieren.
Die Figuren und die Handlung bieten eigentlich die perfekte Bühne, um diese Botschaften eingeflochten zu tranportieren. Freds Stimme ist so stark, dass sie es nicht nötig hat, auf diese Art und Weise die vierte Wand zu durchbrechen. Beinahe scheint es, als solle hier noch einmal für unaufmerksame Lesende die Message klar ausgesprochen werden. Stärker wird die Message dadurch leider nicht. Eine oder zwei dieser Passagen hätten in längere zwischenmenschliche Szenen verwandelt werden können, damit ihnen tieferer Nachdruck verliehen wird.
Was über Frauen geredet wird ist ein sprachlich großartiger Roman über Frauen und ihre Perspektive im modernen Österreich. Es ist eine Geschichte über den Wert aller Lebensmodelle und den anhaltenden Kampf gegen ein träges gesellschaftliches Wertesystem ohne je antagonistisch zu sein.
Was über Frauen geredet wird (Residenz) von Mieze Medusa ist überall im Buchhandel und online erhältlich
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Alle Fotos (c) Claudia Rohrbauer, Residenz Verlag, heldenderfreizeit.com
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.