Miles Morales ist als Spider-Man zurück. Und diesmal muss er sich im Multiversum nicht nur einem Superschurken stellen, sondern auch dem Mythos von Spider-Man selbst. Das Ganze ist ein visuelles und emotionales Fest, aber beizeiten ein Zuviel an Film.
von Susanne Gottlieb
1. Juni 2023: Er war 2018 ein großer Überraschungshit: Spider-Man: A New Universe, das animierte Stand-Alone-Farbenfeuerwerk, das nicht zu einem großen Franchise wie dem MCU oder dem DCEU gehörte. Erstmals war die Hauptfigur auch nicht Peter Parker, sondern Afro-Latino Miles Morales, der in den Comics 2011 zum ersten Mal seine Netze über die Dächer von New York spannte. Die bahnbrechende Animation, die komplexe aber unterhaltsame Story, die den Kanon ebenso in die Arme schloss, wie er sich darüber lustig machte, begeisterte die Massen. Dem Film gelang es 2019 auch, den Oscar für den besten Animationsfilm abzustauben.
Fünf Jahre mussten die Fans nun auf die Fortsetzung warten. Sie verspricht größer, bunter und noch bedeutungsvoller zu werden als der Vorgänger. Doch konnten die Trailer diese Versprechen einlösen? Wir verraten es hier.
Ein Jahr ist vergangen, seit Miles Morales (Shameik Moore) zu Spider-Man wurde und mithilfe seiner Freunde und Alter Egos, darunter Gwen Stacy (Hailee Steinfeld), auch bekannt als Spider-Gwen, das Multiversum vor einer Bedrohung retten musste. Doch seit sich die Truppe aufgelöst hat, leidet Miles unter der Einsamkeit, unter dem Druck der Eltern, sich für ein Studium und eine Karriere zu entscheiden, sowie dem großen Geheimnis, das er mit sich herumtragen muss.
In ihrer Welt ist Gwen (Hailee Steinfeld) ebenso einsam und ohne Freunde. Außerdem muss sie sich mit ihrem Vater herumschlagen, der seit dem Tod ihres Peters glaubt, dass Spider-Gwen die Mörderin ist und Jagd auf sie macht. Als der durchs Multiversum reisende Vulture das Guggenheim attackiert, bekommt Gwen Unterstützung von Spider-Woman (Issa Rae) und Miguel O’Hara (Oscar Isaacs), zwei Spidey Alter Egos. Sie nehmen Gwen in die geheime Spider-Man-Society auf, nachdem ihr Vater ihre wahre Identität erfährt und sie verhaften will.
In der Welt von Miles treibt derzeit der Spot (Jason Schwartzman) sein Unwesen. Als Rohrschach-artiges Wesen voller Multiversum-Flecken auf der Haut macht er Spider-Man für seinen Zustand verantwortlich und will sich rächen. Gwen, die ihn observieren soll, zieht nun unbeabsichtigt Miles mit in diesen Kampf. Dieser wiederum ist begeistert von der Society und etwas gekränkt, kein Mitglied sein zu dürfen. Doch wie er bald herausfindet, verbirgt sich hinter dieser Gesellschaft mehr als zunächst gedacht.
Größer, bunter ist durchaus das richtige Mantra bei diesem Film. Während A New Universe bereits visuell beeindruckend war, legt Across the Spider-Verse hier nochmals nach und präsentiert sich als wahres Farben- und Animationsfest. Als Zuschauer wirkt es, als wäre man direkt in die Seiten eines Comics gestiegen. Die konstante Reizüberflutung, dieses fast Zuviel an Film lässt einen oft keine Chance, in Ruhe die gestalterische Vielfalt der Szenerie einzusaugen. In anderen Momenten hingegen wirkt das Tableau beruhigend, wie ein Kunstwerk aus einer Galerie, das endlich seinen großen Moment bekommt.
Ähnlich komplex will auch die Handlung die Selbstsuche der Figure Miles Morales vorantreiben. War der Teen im letzten Film noch mit der Realisation konfrontiert, nicht der einzige Spider-Man zu sein, so ist er diesmal fast zu allein, zu isoliert. Die Erfüllung glaubt er durch den Kontakt mit seinen anderen Inkarnationen zu erreichen. Doch die Konfrontation mit diesen wirft ganz andere Fragen auf. Wer ist Miles Morales? Wer ist Spider-Man? Was ist sein Erbe, sein Kanon, seine Verpflichtung? Die große Verantwortung, vor der Spider-Man immer gewarnt wird, richtet ihr Auge nun auf ihn. Welche Opfer schuldet er der Welt, um der zu sein, der er ist? Und wie kann man darin seine eigene Geschichte schreiben?
Leider ergibt sich vor allem in der zweiten Hälfte des Films daraus das Problem, das schon viele Sony-Spider-Mans vor ihm hatten. Ein Zuviel an Handlungssträngen, ein Zuviel an Bösewichten. So verschwindet der Spot nach einigen ersten großen Kampfszenen komplett und taucht erst gegen Schluss wieder auf, als hätte man ihm tatsächlich im Äther des Multiversums vergessen. Ebenso scheint der Film, eine der letzten Bastionen gegen generisches modernes Superhelden-Kino, genau diesen Hang zur Fortsetzunggeschichte, den Aufbau auf die Dinge, die noch kommen werden, nur allzu gerne zu verinnerlichen.
Die Autoren Phil Mord und Christopher Miller, die sich schon für die exzellenten The Lego Movie und 21 Jump Street verantwortlich zeichneten und verstehen, wie man eine popkulturelle Entität richtig belebt, verstehen, aus Miles eine neue Art Spider-Man zu machen. Das Material zu ehren und gleichzeitig mit ihm zu spielen. Und sie haben eine erstaunliche Welt geschaffen, die fast als Maßstab für den modernen Animationsfilm gelten kann. Man wünscht sich nur, sie hätte sich und ihren Figuren hin und wieder mehr Atempausen erlaubt.
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Mehr InformationenSpider-Man: Across the Spider-Verse ist ein optisches Kunstwerk, dessen, im Vergleich zum Vorgänger, viel düstere Handlung die richtigen Töne zwischen Ernsthaftigkeit und lockerem Humor trifft. Trotzdem versucht der Film zu viel Handlung und zu viele Anleihen an andere Superhelden-Filme hineinzupacken, um vollends zu zünden.
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Aufmacherfoto: (c) Sony Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.