Der Retzer Erlebniskeller bietet bei einer Führung durch Österreichs größten historischen Weinkeller außergewöhnliche Erfahrungen. Archaisch schöne Räume sorgen für faszinierende Einblicke in eine unbekannte Welt. Wir haben reingeschaut, was dich da unter der Erde erwartet. Dazu gibts noch Lokal und Ausflugstipps für die Umgebung, von der Windmühle bis zum Heurigenzug. Und wenn du schon in der Gegend bist, schau dir unbedingt auch das wunderschöne Znaim (hier unsere Tipps) gleich hinter der Grenze an.
von Martin Kienzl
Wer auf dem riesigen Retzer Hauptplatz steht und es nicht besser weiß, würde nicht ahnen, dass sich unter seinen Füßen ein riesiges Tunnellabyrinth befindet. Nur ein paar Löcher in Steinbodenplatten zeugen davon. Hier, wo jedes Jahr beim Retzer Weinlesefest Wein statt Wasser aus dem Brunnen sprudelt, ist einiges nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint. Das große gelbe Gebäude, das mit seinem Turm exponiert in der Hauptplatzmitte thront wie anderswo Kirchen, ist hier das Rathaus mit integrierter Rathauskapelle. Unter diesem, wie unter ganz Retz, öffnet sich eine kleine Weinwunderwelt. Sie weckt bei großen und kleinen Besucher:innen sofort einen Höhlenforscherdrang.
Im Spätmittelalter erhielten die Retzer das kaiserliche Privileg, mit Wein handeln zu dürfen. Damit bestand der Bedarf einer Erweiterung der Keller. Die Vorgeschichte dazu ist außergewöhnlich. Östlich von Retz lag vor etwa 18 Millionen Jahren das erweiterte Mittelmeer. Versteinerte Muscheln kann man noch heute im Gelände finden. In Retz, das damals am Rand der Böhmisch-Mährischen Höhe lag und wo es Richtung Waldviertel bergauf geht, waren Sandstrände. Darüber bildete sich eine Lössschicht – ideal für den Weinbau. Doch wenige Meter darunter: nichts als feuchter Strandsand.
In diesem ehemaligen Strand gruben die Retzer ihre Stollen. Sollte der Sand durch den Klimawandel austrocknen, wäre die Stadt in Gefahr, buchstäblich im Sand zu versinken. Faszinierend, wenn man in einem siebenjahrhundertealten Stollen steht. In gotischem Stil mit nach oben zugespitzter Decke errichtet. Du berührst die Wände und spürst, dass du von den Füßen bis zu den Händen komplett von Sand umgeben ist.
In den Sandgängen fühlt man sich wie im Inneren einer ägyptischen Pyramide. Teilweise sind die Gänge kunstvoll mit Ziegeln ausgekleidet. Die Ziegel haben keinerlei statische Funktion, erfüllten nur repräsentative, dekorative Zwecke. In Wahrheit hält einzig der feuchte Sand alles zusammen. Der Transport der Ziegel und des Sandes erfolgte mit Hunten, kleinen Rollwägen, deren Schienen man noch überall im Keller findet. Wer ist je unter (!) der Wurzel eines Baums gestanden? Hier kannst du es erleben. Acht Meter unter der Erde aus der Decke eines Kellergangs die Wurzeln eines darüberstehenden Birnbaums zu sehen ist ein besonderes Gefühl.
Über einen eindrucksvollen, einhundertdreißig Meter langen, schmalen Gang gelangt man von der Einstiegsstelle, die außerhalb der Stadtmauer liegt, in den Bereich unter dem Hauptplatz. Spaziert man über diesen, so fallen einem sofort die zahlreichen sogenannten Dampfluken auf. Löcher mit kerzengeraden Auslässen, die zu den Kellern führen. Mit ihrer Hilfe konnte man sich stets gut orientieren und feststellen, wo man sich unterirdisch gerade befindet. Aus acht bis fünfzehn Metern Tiefe erspäht man durch die winzigen Luftschächte das Tageslicht. In der Kellerfinsternis wirkt es strahlend hell.
Als die Keller noch in Betrieb waren, wurde der Wein mit Schläuchen in die Tiefe und mit Pumpen – zwei „antike“ Stücke sind zu bewundern – wieder nach oben gebracht. Zehntausende Liter! Bis zu zwanzig Meter hinunter und wieder hinauf. Die Vorstellung davon versetzt uns ins Staunen.
Neben Weinfässern sind auch sogenannte Weinzisternen zu bewundern. Kellerräume zur Weinlagerung, die hier nicht wie anderswo lediglich zementiert sind. In Retz sind sie mit schönen Glasfliesen ausgelegt. Hineinlugen lohnt sich. Daneben laufen Glasrohre, die den Füllstand der Zisterne anzeigen. Bei herkömmlichen Fässern kann der geübte Winzer dies durch Klopfen am Holz feststellen!
Abschließend gibt es dann noch kurze historische Repliken. Die Nazis planten in den Retzer Kellern Kriegsflieger herzustellen. Zum Glück war es dafür hier zu kalt und zu feucht. Die Produktion wurde in die große Seegrotte in der Hinterbrühl bei Mödling verlegt. Ein Bombardement der Alliierten hätten die Retzer Keller nicht überstanden. 1955 durften die Retzer dann den Rotwein beim Diner zur Staatsvertragsunterzeichnung stellen. Einige Flaschen, die man mittlerweile besser voll lässt, sind noch zu sehen. Die Führung endet in der Vinothek des Hotels Althof mit einer Traubensaft- und Weinverkostung.
Eines der wenigen Top-Ausflugziele für die ganze Familie, das auch für den Winter ideal geeignet – weil ganzjährig geöffnet ist. Im Sommer gut für eine Erfrischung. Pullover oder Jacke nicht vergessen. Bei einem Retztag unbedingt auch die Windmühle anschauen. Danach empfiehlt sich eine entschleunigende Fahrt mit dem Heurigenwagen im Reblaus Express nach Drosendorf – alle Infos hier in unserem Erlebnisbericht. Auch hinter der tschechischen Grenze gibt es noch Lässiges zu entdecken, wie du in meinen Ausflugstipps für Pálava und für Znaim nachlesen kannst.
Adresse: Hauptplatz 30, 2070 Retz – Kauf der Karten für die Kellerführung, Info, Souvenirs, WC: Stadtamt Retz, Beginn der Führung am Hauptplatz.
Kleidung: Da es im Keller konstant etwa 10 Grad hat, vorsorglich warme Kleidung mitbringen.
Öffnungszeiten: ganzjährig geöffnet! Näheres: https://www.retzer-land.at/retzer-erlebniskeller
Dauer der Führung: etwa eineinhalb Stunden.
Preise: siehe Homepage. Um Reservierung wird gebeten.
Anreise von Wien – Bahn: ÖBB Bahnhöfe der Wiener S-Bahn-Stammstrecke bis Retz Bahnhof (Fahrzeit ab Wien Hauptbahnhof 1:21). Vom Bahnhof Retz zehn Gehminuten. Tipp: Vorteilscard ÖBB oder Einfach Raus Ticket der ÖBB.
Auto: von Wien Zentrum bis Retz etwa eineinhalb Stunden einplanen. Parken am Hauptplatz möglich. Parkuhr erforderlich.
Rathauskapelle, ein Rokoko-Juwel: Besichtigung im Rahmen von Stadtführungen. Auf Wunsch bei den Kellerführungen – am besten schon bei der Info bekanntgeben!
Rathausturm, Blick auf die planmäßig errichtete Stadt: täglich von 9 – 18 Uhr, 2 Euro, Drehkreuz
Hauptplatz mit Renaissance-Bauten Verderber- (Familienname) und Sgraffitohaus, Pranger, Pest- und Dreifaltigkeitssäule.
Windmühle (1853, holländischer Typus): https://www.retzer-land.at/retzer-windmuehle
Helden-Tipp: Spaziergang aus der Stadt über die Windmühlgasse durch die Weingärten zur Windmühle (Vorsicht: kein Schatten). Dauert einschließlich Rückweg auf derselben Strecke etwa eine Stunde.
Museum Retz und Südmährische Galerie: https://www.museumretz.at/
Fahrradmuseum: https://www.fahrradmuseum.at/
Heurige: Weinstraße, Windmühle
Restaurants: Mährische Botschaft, Althof
Café: Elmers Cafe Retz
Vinothek: https://www.althof.at/gebietsvinothek-retzer-land/
Unser Tipp: einmal einen Verjus kosten! Ein saurer, alkoholfreier Saft, der aus unreifen Trauben gewonnen wird. Vor allem im Hochsommer pur oder mit Wasser eine ideale Erfrischung, die schon die alten Griechen schätzten. In der Vinothek des Hotels Althof am Ende der Kellerführung zu bekommen.
Noch mehr Weinviertel gefällig? Wir haben noch viele tolle Genusstipps für dich:
Museumsdorf Niedersulz – Zeitreise ins alte Weinviertel
Reblaus Express: Urige Fahrt im rollenden Heurigen
Weingut Gilg – eine köstliche Kombi aus traditionell und modern
Nur 15km entfernt: So schön ist die Königsstadt Znaim
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Mehr InformationenAufmacherfoto: (c) heldenderfreizeit.com, Die Reisereporter
Der erfahrene Kulturjournalist (ehemals Bühne, Wien exklusiv, Stil Ikonen usw.) berichtet bei den Helden der Freizeit über Ausflugsziele rund um Wien, Ausstellungen und vieles mehr.