Nach der erfolgreichen neunteiligen The Expanse Reihe, die auch als Serie einen weltweiten Siegeszug antrat, präsentiert das Autorenduo unter dem gemeinsamen Pseudonym James S. A. Corey mit Die Gnade der Götter den Auftakt einer neuen Saga. Dieses Mal soll es nur eine Trilogie werden. Die deutsche Fassung erscheint später in diesem Jahr, aber wir konnten es nicht abwarten und haben schon einmal das englische Original gelesen.
von Peter Huemer, 15. 9. 2024
Dafyd Alkhor ist Assistent einer Forschungsgruppe auf dem Planeten Anjiin und erlebt soeben eine der größten wissenschaftlichen Sensationen aller Zeiten. Den Wissenschaftlern seiner Gruppe ist es gelungen, die zwei völlig voneinander getrennten Ökosysteme des Planeten zu verbinden. Auf der einen Seite stehen Menschen, Eichhörnchen, Hunde, Tannen, Sonnenblumen etc. und auf der anderen, die eingeborene Flora und Fauna von Anjiin. Die Antwort auf die Frage, warum es zwei Ökosysteme gibt, ist leicht beantwortet: Menschen stammen nicht ursprünglich von Anjiin und haben vor tausenden von Jahren ihre eigenen Tiere und Pflanzen mitgebracht. Wie das zugegangen ist, weiß niemand.
Während sich der ganze Planet im Freudentaumel befinden, entgeht den meisten, dass am Rande des Sonnensystems fremde Objekte auftauchen. Die nächste Sensation: außerirdisches Leben. Als man sich damit zu befassen beginnt, ist es bereits zu spät. Eine haushoch überlegene Macht, ein merkwürdiger Zusammenschluss verschiedener Alienrassen, übernimmt Anjiin völlig ohne nennenswerte Gegenwehr. Dafyd findet sich gemeinsam mit den Wissenschaftlern seiner Akademie in Gefangenschaft wieder und wird mit einer Aufgabe konfrontiert, die das Schicksal seiner gesamten Spezies bestimmten könnte.
Das Buch verrät bereits in den ersten Zeilen das Ende der Trilogie: Dafyd wird der Grund für den Niedergang des feindlichen Imperiums sein. Das ist aber nur bedingt ein Spoiler. Gehen nicht viele Geschichten gut aus? Erwartet man nicht von einer Sci-Fi-Trilogie, dass nach allerlei Abenteuern und Erkenntnissen der Protagonist triumphiert? Diese häufige Tatsache dem Ganzen vorauszustellen, zeugt erst einmal von großem Selbstvertrauen. Es dauert nicht lang, bis klar wird, was die eigentliche Frage ist. Es geht nicht darum, ob die Menscheit dem außerirdischen Imperium beikommt, sondern darum wie. So groß ist die Übermacht, so unausweichlich scheint die Niederlage und ewige Versklavung. Und dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit aufzubauen, ist die Hauptaufgabe dieses Romans.
Der erste Teil türmt Problem auf Problem, gibt wenige aber kraftvolle Einblicke in die gänzlich fremde Welt des Feindes und lässt einen schnell vergessen, dass man schon weiß, dass dieser besiegt werden wird. Wie sollte er auch? Die Menschen sind kaum mehr als Ameisen unter ihren Füßen und vor allem mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Gleichzeitig verändert sich mit jeder Seite mehr das bekannte Bild des Universums. So wechseln Horror und Verzweiflung pendelnd mit Faszination ab.
Alle unsere Protagonisten sind Wissenschaftler, herausragende noch dazu. Einzig Dafyd, der zentralste Charakter, ist nur Assistent, was seiner Auffassungsgabe aber keinen Abbruch tut. Dementsprechend gestaltet sich auch unsere Perspektive auf die Geschehnisse. Obwohl die Emotionen, Wünsche, Ängste und Hoffnungen der Figuren sie leiten, ist ihr Blick auf jede Situation analytisch und eröffnet sogar in Action geladenen Szenen einen ungewöhnlichen Blickwinkel. Hier findet sich auch der erste Hinweis darauf, wie der Kampf gegen eine solche Übermacht möglich sein könnte: Wissen.
Dafyd und seine Mitstreiter sind ständig bemüht ihre Umgebung, die Beweggründe für jedes Verhalten der Vielzahl fremder Kreaturen, die Funktionsweise ihrer Maschinen und die Bedeutung eines jeden Befehls zu verstehen, mehr darüber zu lernen, wie die Unterdrücker die Welt begreifen. Es ist ein Krieg der Erkenntnisse und obwohl das Imperium völlige Kontrolle über die Menschen hat, fühlt es sich an, als erlebe man den Wettlauf darum, wer den anderen zuerst ergründet.
Bei einem Buch mit so vielen Charakteren, das noch dazu in einer völlig fremden Welt angesiedelt ist, kann es schwer sein, den einzelnen Figuren genug Raum zur Entfaltung zu geben. Glücklicherweise findet der Roman hierfür die richtige Herangehensweise indem erst nur Dafyd tiefer ausgeleuchtet wird. Er bekommt gleich zu Beginn eine längere Szene, in der seine Vorlieben, seine Geschichte, seine Macken ausgeführt werden, während von den anderen bloß Schnipsel sichtbar werden.
Schritt für Schritt nehmen die anderen mehr und mehr Platz ein und kristallisieren sich als interessante und dreidimensionale Charaktere heraus. Schon in The Expanse konzentrierte man sich im ganzen ersten Band größtenteils auf zwei Figuren und baute die anderen über die nächsten Teile aus. Eine gute Entscheidung. Ein Blickwinkel sticht unter allen heraus und zwar jener des Schwarms. Obwohl er recht früh im Buch eingeführt wird, sei hierzu aber nichts mehr verraten.
Das Unvorstellbare in Worte zu fassen, ist oft die Aufgabe von Hard-Sci-Fi. Dinge, die so weit von unserer Lebensrealität weg sind mit Worten unserer Realität zu beschreiben, ist ein Balanceakt. Man kann sich zu sehr auf eine Krücke aus Metaphern stützen oder sich in einem Meer von fiktiven Fachbegriffen verlieren. Die Gnade der Götter findet einen Mittelweg. Indem sich die Figuren oft in eine Sprache der Wissenschaft flüchten, während die Beschreibung ihrer Erfahrungen eng an der emotionalen Ebene des Menschen bleibt, kommt das Buch ohne übermäßig vielen Sci-Fi-Vokabeln aus. Das hilft dem Lesefluss und erlaubt der Sprache, sich poetisch zu entfalten, weil sie sich nicht zu sehr mit Beschreibungen aufhalten muss. Wir fühlen die Welt des Romans, ohne uns jeden Zentimeter im Detail vorstellen zu müssen.
Die Gnade der Götter ist der gelungene Auftakt für eine Trilogie. Welt und Personen werden kunstfertig vorgestellt und wir bekommen einen Vorgeschmack auf die Herkulesaufgabe, die bevorsteht. Die Tatsache, dass man am Ende des Buches sofort weiterlesen möchte und trotz des stimmigen Finales etwas unbefriedigt ist, ist leider das Schicksal vieler erster Teile und spricht eher für als gegen den Roman.
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Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.