Tatort-Regisseur Philip Koch, der sein Faible für Science-Fiction-Dystopien oder Social-Media-Horrorstreifen bereits mit Tribes of Europa (2019), Play (2019) und Unfriend (2016) bewiesen hat, schlägt mit Brick thematisch in eine ähnliche Kerbe. Warum sein neuer Thriller in der ersten Hälfte eine originelle Weiterentwicklung solcher Genres suggeriert, dann aber in einen – auch buchstäblich – bodenlosen Abgrund ausufert, lest ihr hier.
von Christina H. Janousek, 8. 7. 2025
Army of Thieves (2021). Army of the Dead (2021). Die Schwimmerinnen (2022) oder Heart of Stone (2023). In den letzten Jahren hat sich Matthias Schweighöfer keine Gelegenheit für eine Kooperation mit Netflix entgehen lassen. Auch zählt er zu jenen Schauspielern, in deren Filmen und Serien immer wieder Familienmitglieder wie die Mutter (Gitta Schweighöfer) oder die eigene Partnerin (Ruby O. Fee) auftreten: sei es für sein Amazon-Regiedebüt You are wanted (2017), in dem das Leben eines Familienvaters durch einen anonymen Hacker auf den Kopf gestellt wird, sei es für sein Netflix-Regiedebüt Army of Thieves, in dem Schweighöfer in einer postapokalyptischen Welt den Bankier und unschlagbaren Safeknacker Ludwig Dieter verkörpert.
Brick hätte ebenso aus Schweighöfers Hand stammen können, mutet der Film doch wie eine Pastiche seiner früheren Arbeiten an. Auch das Privatleben des Deutschen und seiner Partnerin, die regelmäßig eine Paartherapie zur Bereicherung ihrer Kommunikationsfähigkeiten besuchen und getrennte Quartiere beziehen, scheint zumindest teilweise Einzug in Brick gefunden zu haben. Erstaunlicherweise hätte genau das den Film noch irgendwie retten können. Doch gute Chemie und Selbst-Inszenierungsgeschick allein machen noch lange keinen sehenswerten Mystery-Thriller aus.
Von einem auf den anderen Tag ist sie einfach da. Eine undurchdringbare Wand, die die Wohnung von Spielprogrammierer Tim (Matthias Schweighöfer) und Architektin Olivia (Ruby O. Fee) wie eine endlos lange Mauer umzingelt. Türen und Fenster sind verbarrikadiert, die Handys haben keinen Empfang und aus den Leitungen kommt kein Wasser mehr. Die durch einen persönlichen Schicksalsschlag ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogene Beziehung zwischen den Hauptfiguren wird dadurch vor eine weitere Zerreißprobe gestellt. Selbst die Nachbarn, das Paar Ana (Salber Lee Williams) und Marvin (Frederick Lau), ein älterer Herr namens Oswalt (Axel Werner), seine Enkelin Lea (Sira-Anna Faal) sowie der Polizist Yuri (Murathan Muslu) sind hermetisch eingesperrt. Einzig die Wände und der Boden können mit Bohrer und Hammer zertrümmert werden.
Das größte Rätsel gibt die Beschaffenheit der Mauer auf: Sie ist magnetanziehend, mal wechselt sie den Aggregatzustand, mal löst sie sich in Pixel auf. Mit jedem hinabsteigenden Stockwerk, in das die Gefangenen dringen, scheinen sich auch neue Handlungsräume aufzutun. Doch je mehr die Nachbarn voneinander erfahren, umso weniger trauen sie einander und umso mehr sind sie gewillt, mit allen Mitteln nach der Wahrheit zu suchen.
Brick besticht zunächst durch die psychischen Konflikte aller Charaktere und durch die falschen Fährten, die damit gelegt werden. Ist die Wand Teil der Renovierungsarbeiten des Wohnhauses, hinter denen der Vermieter Friedman steckt? Ist sie eine surreale Manifestation von Kommunikationsbarrieren und aufgestauten Problemen wie Tims Arbeitseskapismus, Olivias Wunsch nach einem Neuanfang außerhalb von Hamburg, Leas Streit mit ihrer Freundin, die implizierte Kriegsvergangenheit von Leas Opa Oswalt und die Trauer um seine verstorbene Tochter oder Yuris Paranoia? Ist sie vielleicht selbst ein von Tim begangener Programmierfehler, der das Leben seiner Mitbewohner wie ein Virus oder ein Glitch kontaminiert und mit Antons Forschungsarbeiten bei einem Unternehmen namens Epsilon Nanodefense verknüpft ist?
Sobald solche Schlüsse aber ad absurdum geführt werden, geht Brick die Luft aus. Da hilft es auch nicht, wenn Filme wie Superhost (2021) oder Escape-Room (2019) durch Selbstreflexionen auf die Schaufel genommen oder Theorien vom Deep State und die Fake-News-Problematik aufgerollt werden. Denn der Film nimmt sich dann doch viel zu ernst, um derartige Narrative zu widerlegen. Das wird v. a. dann ersichtlich, als Marvin die Ausgangssituation mit der Szene in Matrix (1999) vergleicht, in der Neo mithilfe von Kabeln an eine simulierte Realität angeschlossen ist, und Ana Marvin Recht gibt, nachdem der Film ja immerhin „100 Jahre alt sei“. Ist dies nur ein sarkastischer Seitenhieb oder Brick nun doch eine Dystopie, die in der Hamburger HafenCity im Jahre 2099 angesiedelt ist?
Brick will zu vieles auf einmal und verharrt in einer ermüdenden Unschlüssigkeit. Die wie Escape-Rooms ausgestatteten Wohnungen mit den QR-Code-Bildern und Neonröhren an den Wänden, die in einer Reisetasche versteckten Verschwörungsschriften, Anspielungen auf Blaise Pascal sowie Sartres existentialistisches Drama Geschlossene Gesellschaft und ein geheimer Videoraum verschärfen diese noch. Zwar werden solche Ungereimtheiten konsistent eingesetzt, doch weisen sie einige Schönheitsfehler auf. Auch die Endszene setzt nochmal eins drauf. Vielleicht wollte Koch mit dem offenen Ende von Brick einen zweiten Teil andeuten, in dem er die Schwächen des Vorgängers in Stärken ummünzen kann.
Brick fängt durch die zahlreichen Rückblenden in Olivias und Tims Vergangenheit als psychologischer, spannungsgeladener Scifi-Actionthriller an, der mit einem sympathischen Cast besetzt ist. Er geizt mit Special-Effects, sodass sie clever eingesetzt werden und vielmehr die innere Zerrissenheit der Charaktere unterstreichen als sie zu übertünchen. Leider schöpft der Film das Potential, sich über seine eigenen Grenzen hinauszuwagen, nicht voll aus. Weniger Moralisierungs- und Belehrungszwang und eine klarere Handlungslinie wären wünschenswert gewesen.
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