Peaky-Blinders-Schöpfer Steven Knight nimmt sich diesmal der irischen Unternehmerfamilie Guinness an und verknüpft ihren Kampf und Aufstieg zur Bier-Weltmarke mit der Unabhängigkeitsbewegung in Irland. Ein spannender Bruder-Zwist setzt dem intrigenreichen Historiendrama die Schaumkrone auf. Ob die Netflix-Serie so gut schmeckt, wie das beliebte dunkle Bier, liest du in unserer Review.
von Susanne Gottlieb, 25. 9. 2025
Ihr mögt Guinness? Und fetzige Historien-Schinken? Dann haben Steven Knight und Netflix genau das Richtige für euch. Eine Serie über die Familie hinter der Brauerei in einer Zeit, als nicht nur wilde gesellschaftliche Umbrüche aufzubrodeln begannen, sondern die Biermarke sich auch auf eine Spitzenreiter-Position am Weltmarkt hievte. Also, Guinness zischen und ab zu Netflix! (alle weiteren Netflix Neuerscheinungen findest du übrigens hier).
Das Jahr 1868, in Irland gehen die Wogen des Unabhängigkeitskampfes vom Britischen Empire hoch. Just in dieser Zeit stirbt das Familienoberhaupt der protestantisch-irischen Brauerei-Familie Guinness, Benjamin Guinness. Zurück bleiben seine vier Kinder: Der exzentrische, selbstverliebte Lebemann und älteste Arthur (Anthony Boyle), der seriöse, geschäftstüchtige Edward (Louis Partridge), die sensible, oft übersehene, aber willensstarke Anne (Emily Fairn) und der von Alkohol und Dämonen verfolgte Benjamin (Fionn O’Shea). Benjamin Sr. schockiert auch gleich einmal alle mit seinem Testament: Anne und Ben bekommen nichts, da sie eine Frau und er ein Alkoholiker ist.
Doch der eigentliche Clou kommt erst: Die Brauerei geht nicht wie erwartet an Arthur, der diese dann, wie besprochen, an Edward verkauft hätte,weil er kein Interesse am Brauen hat und lieber in die Politik möchte. Vielmehr geht der Betrieb gleichermaßen an beide Brüder – sollte einer von der Aufgabe abspringen, verliert er das Recht auf jegliche Erbschaften und Besitztümer. Also gilt es, in Zeiten des Umbruchs nun mit zwei sehr unterschiedlichen Köpfen ein Imperium auch jenseits des Atlantiks aufzubauen.
Abgesehen von den eigenen Geheimnissen innerhalb der Familie, sind die Guinness mit allerhand Herausforderungen konfrontiert, die sich nicht alle von Handlanger Sean Rafferty (James Norton) lösen lassen. Um Arthur einen Sitz im Parlament zu garantieren, brauchen sie die Stimmen der irischen Katholiken, unter der Führung von Ellen Cochrane (Niamh McCormack). Um in New York und Boston mit Guinness durchzustarten, brauchen sie ebenfalls die Iren im Exil. Für die stark unionistische Familie Guinness brechen neue Zeiten an.
Wer ein Fan von Peaky Blinders war, wird auch hier ähnliche Szenen und Momente wiederfinden. So findet ein Gutteil der Handlung noch immer in engen, rauchigen Gassen statt, Edward und Arthur sind schon mal mit Hut und zu Pferd unterwegs, allein die Deals werden nicht mehr in rauchigen Hinterzimmern von Pubs, sondern in eleganten Restaurants wie dem Imperial abgeschlossen. Dazwischen verpackt Steven Knight wieder allerhand komplexes Hierarchieschach, Reflexionen über Kolonialmächte und die feine Linie zwischen altruistischen Wohltätigkeitsgesten und kalkuliertem Kapitalgewinn durch Aufmerksamkeit.
So zerstreut sich die Befürchtung nach einer wilden Prügelei zu Beginn, als der Sarg von Benjamin Sr. durch die Straßen Dublins kutschiert wird, dass Knight hier allzu stark irische Klischees bedienen will, alsbald. Neben all den Business- und Vergnügungsfetischen der Brüder lenkt er, durch die Reisen Annes, auch seinen Blick auf die katastrophalen Zustände auf der grünen Insel. Weg von den Reichen und Mächtigen, die in Dublin das Sagen haben. Hin zu den Überlebenden der irischen Hungersnot, die noch vor 20 Jahren gewütet hat. Und während Edward seiner Angebeteten schon mal frisches Eis aus Grönland mit dem Sprudel servieren will, hebt die einfache Landbevölkerung ein paar Kilometer weiter frische Gräber für die von Krankheit gezeichneten aus.
Doch der eigentliche Reiz der Serie liegt in der wechselseitigen Dynamik der Brüder Arthur und Edward, die über die Serie hinweg in das Zentrum der Handlung rücken. Edward, der durchaus ein soziales Herz hat und auf die Katholiken zugehen will, in dem Wissen, dass das Schicksal Irlands und seines Betriebs in ihren Händen liegt. Der die Arbeitsbedingungen verbessern will, aber bei dem oft auch ein gewisses Kalkül in seinen Taten mitspielt. Zum anderen ist da Arthur, ein konservativer Traditionalist, der aber ein großes Geheimnis hat, das mit den Gesellschaftswerten bricht und den Untergang des Hauses bedeuten könnte. Der als charmanter Gentleman und Redenschwinger gerne auf der Überholspur lebt, um seiner eigenen ernsthaften Rolle in der Welt zu entkommen.
Knight arbeitet sich genüsslich an dieser Dynamik ab, wobei auch andere Figuren, wie der aus Arbeiterklasse stammende Sean Rafferty oder Arthurs eitle, aber dennoch blitzscharf observierende Frau Olivia (Danielle Galligan) ihre Momente bekommen. Weil die Machenschaften der Guinness weitgehend auf historischen Tatsachen beruhen, hat Knight jedoch nicht allzu viele Freiheiten, hier seine eigenen Ideen aufs Papier zu bringen. Das merkt man auch inhaltlich, denn Peaky Blinders war viel kompakter, dichter erzählt, die Zeitsprünge weniger rapide. Auch lebt House of Guinness, bei allem Respekt für die Darsteller, nicht von der dunklen Energie eines Cillian Murphys. Doch mit seinem gelungenen Wechselspiel zwischen aufgedreht und seriös sowie einem tollen Soundtrack voller irischer Künstler, darunter Fontaines D.C. oder Kneecap, macht diese Serie durchaus Spaß und auf irgendwie durstig.
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Mehr InformationenHouse of Guinness mag ein paar Schwächen haben. Aber es ist in gewohnter Steven Knight-Manier ein wilder historischer Ritt durch die Intrigen der britisch-irischen Upper Class und ein erneutes Aufzeigen einer sich ewig wandelnden Gesellschaft, an die sich nicht jeder anpassen kann. Prost!
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.