“Queere Rechte sind abgesichert, wenn sich viele Menschen der Notwendigkeit bewusst sind.” Für unser Held:innen des Monats Interview haben wir uns mit dem Stadtguide Gerd Brandstätter getroffen, der die Outputs von QWIEN – dem österreichischen Zentrum für queere Archiv-, Bibliotheks- und Forschungsarbeit – in die Stadtführungen Queer Walks verpackt. Sein Fokus: mit queerer österreichischer Geschichte und Gegenwart Augen öffnen.
von Verena Fink, 11. 6. 2025
“Wie schätzt ihr die Rechtslage für queere Menschen in in Österreich ein?” Die Tour “Queer Rights” beginnt beim Justizministerium. Rund 20 Leute haben sich versammelt und warten gespannt, bis es los geht. Gerd Brandstätter führt uns durch symbolträchtige Orte – vom Justizministerium über das Oberlandesgericht, das Parlament, die Uni, bis hin zum Verfassungsgerichtshof.
2 Stunden dauert die Tour in etwa und sie wird natürlich auch im Zuge der Vienna Pride (Hier alle Highlights 2025) angeboten. “Scheiße! Was, wenn kana kummt?” Das war 1996 die Angst der Pride-Veranstalter:innen bei der allerersten Regenbogenparade in Wien. Heute fast undenkbar, werden doch 300.000 Menschen erwartet! Der staatlich geprüfte Fremdenführer und Uni-Lektor Gerd Brandstätter klärt mit seriösem Hintergrundwissen bei seinen Stadtführungen mit verschiedenen Schwerpunkten über queere Geschichte und Gegenwart in Österreich auf.
Wir waren bei der Schwerpunkttour “Queer Rights” mit dabei. Daraufhin haben wir uns mit unserem Held des Monats zum Interview getroffen: über die Queer Walks, Anekdoten von 90-jährigen Teilnehmer:innen und queere Geschichte am Zentralfriedhof. Einen kleinen Ausschnitt des Interviews findet ihr auch auf Instagram und Tiktok.
Helden der Freizeit: Die von dir geführten Queer Walks gehören zum Kulturzentrum QWIEN. Was ist QWIEN und wie betten sich darin die Queer Walks ein?
Gerd Brandstätter: Nach über 15 Jahren Archiv-, Bibliotheks- und Forschungsarbeit wird QWIEN jetzt auch ein queeres Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum. Wir sind mit ungefähr 10, 15 MitarbeiterInnen im Kernteam aufgestellt und haben noch ganz viele Ehrenamtliche im Team, die uns mit etlichen Kleinigkeiten unterstützen und dann wirklich insgesamt großes Bewegen für QWIEN. Ohne die wäre vieles nicht möglich. Die Queer Walks mache ich gemeinsam mit Andreas Brunner, mit meinem Kollegen, den Großteil der Walks übernehme ich. Die Kolleg:innen bei QWIEN, die wissenschaftlich arbeiten, publizieren auch und es gibt immer wieder Veranstaltungen, Lesungen, Vorstellungen von neuen Studien, Buchpräsentationen und vieles, vieles mehr. Also es ist ein recht breites Programm, was wir da haben.
Wie bist du selbst zu dem Ganzen gekommen?
Ich komme ursprünglich nicht aus dem Bereich Geschichte, sondern aus dem Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie. Ich habe auch Berufsausbildung, wenn es um Vermittlung geht, wenn es um Didaktik geht. Außerdem bin ich an der Wirtschaftsunion zum Beispiel am Institut für Wirtschaftspädagogik.
Ich bin 1987 von Kärnten nach Wien gekommen zum Studium und habe dann Ende der 80er Jahre irgendwann bei Protestveranstaltungen meinen heutigen Kollegen Andreas Brunner kennengelernt. Und dann hat sich so ergeben, dass Wien eine stärkere Nachfrage für diesen Vermittlungsbereich hatte, eben für diese Queeren Pride Walks. Die machen wir offen für alle, auch für Firmen, gerade in der Pride Week oder zum Thema Diversity oder Gender Mainstreaming, Gleichstellung, Vielfalt. Das machen wir auch für Privatpersonen, also es gibt Leute, die Pride Walks zum Geburtstag verschenken, und ein ganz stärker zunehmender Teilbereich bei der Vermittlung sind natürlich auch Schulen.
“Erst 2002 wurde Schutzalter für männliche Homosexuelle von 18 auf 14 Jahre gesenkt, die Ehe für alle ist erst seit 2019 erlaubt und homosexuelle Männer dürfen erst seit 2022 Blut spenden.” Gerd Brandstätter beim Queer Rights Walk
Wie schätzt du die Motive der Leute ein, die außerhalb vom Firmen- oder Schulkontext die Walks besuchen?
Gerade queere Geschichte ist ganz lang eine Geschichte, die verfolgt wird, die kriminalisiert wird, die marginalisiert wird, und in diesem ganzen Trauertal ist wirklich ein großer Schwerpunkt, wo enorme Verfolgung erlebt wurde, die Zeit des Nationalsozialismus.
Auf der einen Seite wollen viele Schulen Vielfalt und Diversität den Schülerinnen mit auf den Lebensweg der Kinder geben, auf der anderen Seite ist österreichische Geschichte ganz stark mit den Jahren 1938 bis 45 verbunden, und dem wollen sie ein Stück weit Rechnung tragen. Daher fragen bei uns wirklich viele Schulen an, vom Polytechnikum bis zum Gymnasium. Queere Rechte sind abgesichert, wenn sich viele Menschen der Notwendigkeit, dass es sowas braucht, bewusst sind.
Was ist dir besonders wichtig bei der Wissensvermittlung?
Für mich ist es cool, wenn die Leute einen Aha-Effekt haben, also wenn sie etwas berührt, was sie dann ein Stück weit in ihre eigene Welt mitnehmen können.
Andreas Brunner, mein Kollege, hat das mal so nett bezeichnet als Herzensbildung. Du musst eine gewisse Empathie haben, um anerkennen zu können, dass es für Transpersonen, Interpersonen, junge Schwule und Lesben schwierig sein kann, wenn sie herausfinden, dass sie anders sind oder anders empfinden als der Rest der Umwelt, in der sie leben. Und damit ist man verletzlich, vulnerabel ein Stück weit. Und da gilt es, Menschen einfach zu schützen. Und ein Schutz ist natürlich ein rechtlicher Schutz. Plus einfach dann Sozialkompetenz und Empathie des Umfelds.
“In Österreich ist Diskriminierung wegen der Sexuellen Orientierung verboten – allerdings nur in der Arbeitswelt. So können zum Beispiel Schüler:innen keine Lehrer:innen diskriminieren – umgekehrt ist das allerdings straffrei.” – Gerd Brandstätter beim Queer Rights Walk
Was war für dich ein besonderes Queer-Walk Erlebnis?
Die Wiener Pensionistenhäuser führen von Zeit zu Zeit ein Kulturprogramm für ihre Bewohner:innen durch. Da machen wir auch ab und an queere Walks. Ich kann mich an eine 90 jährige Teilnehmerin erinnern, Zuschreibung von außen: eine total liebe Wiener Omi.
Nach einem Halbstundspaziergang fragt sie mich, ist schwul und homosexuell dasselbe? Ich sage dann ja, und sie sagt, ah, ich habe es mir eh gedacht. Das ist so ein schönes Beispiel, dass jeder seine Welt mit seiner eigenen Wahrnehmung konstruiert. Und es war ihr vieles bekannt, bewusst. Mit ihren 90 Jahren hat sie auch gute Erinnerungen gehabt, was erzählt worden ist über die Zeit des Nationalsozialismus, der Verfolgung. Und wenn du dir das Funkeln in den Augen dazu vorstellst, dann denke ich mir, ja, es war eine geile Tour.
Also weg mit der heteronormativen Brille.
Genau. Also, wenn du jetzt ins Schloss Schönbrunn gehst oder auf den Wiener Zentralfriedhof, hast du als erstes die heteronormative Quelle. Zum Zentralfriedhof gehen ganz viele Tourist:innen, die schauen sich das Grab von Mozart an, von Strauss, von Beethoven. Dass es dort auch viel queere Geschichte gibt, ist eher weniger bekannt.
Was gibt es zum Beispiel am Zentralfriedhof an queerer Geschichte, die noch an der Oberfläche zu wenig abgebildet ist?
Zum Beispiel findest du am Zentralfriedhof das Grab der Familie Wittgenstein, deren Sohn einer der bedeutendsten Philosophen der jüngeren Vergangenheit ist – und schwul war. Oder Franz Schubert war mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein schwuler Mann, der es zu seiner Zeit nicht ausdrücken konnte. Dieses heteronormative Hinschauen ein Stück weit zu dekonstruieren und sich ein Stück weit der Geschichte zurückzuholen, die in den Generationen vor uns verschwiegen, vergessen und ausradiert worden ist, das finde ich einfach eine tolle Sache.
“Der Vater von Maria Theresia – Karl VI – war mit großer Sicherheit bisexuell.” – Gerd Brandstätter beim Queer Rights Walk
Habt ihr neue Formate für die Zukunft geplant?
Wir werden auf zwei Formaten bleiben und uns unser Programm noch einmal anschauen, evaluieren und ein Stück weit überarbeiten. Auf der einen Seite bleiben wir wirklich in dieser Bezirksstruktur (Queer Walks in Wiener Grätzln findest du hier), weil wir gesehen haben, dass wir damit einfach gewisse Leute abholen. Was passiert in meinem Grätzl oder was ist in meinem Grätzl passiert? Diese Frage interessiert viele Leute. Das andere, was die Leute interessiert, sind Querschnittsthemen wie verdrängtes Unrecht, Nationalsozialismus, jetzt die Rechtsmaterie.
Wie wird QWIEN finanziert?
Wir haben zu einem Teil Fördermittel der Stadt Wien, gelten als wissenschaftliche Forschungseinrichtung und haben hier für unsere Arbeit, also mit der Erforschung queerer Geschichte oder mit der Dokumentation queerer Geschichte, wirklich einen wissenschaftlichen Background, den wir abdecken.
Am 11. Juni ist die Eröffnung vom neuen QWIEN Kulturzentrum im 5. Bezirk, right?
Genau. Es gab über viele Jahre hinweg im 4. Bezirk in der Neugasse QWIEN mit Büro und Archiv usw., aber über die ganzen Jahre und durch die massive wissenschaftliche Forschungsarbeit, die wir getan haben, aber auch durch die Bibliothek und das Sammeln und Archivieren ist es in den letzten Jahren wirklich aus allen Nähten geplatzt und wir sind froh, dass wir jetzt zur Pride 2025 das neue Zentrum von Queen in der Ramperstorffer Gasse eröffnen können.
Was kommt da nun alles Neues dazu? Auf was kann man sich in Zukunft freuen?
Wir können jetzt zum Beispiel auch den Studierenden einen vernünftigen Lesesaal bieten, wo sie arbeiten können, wo sie forschen können, mit Computer und allem, was dazugehört. Es gibt auch eine eigene Ausstellungsfläche und eine Veranstaltungsfläche im Haus, also das heißt, da werden wir so dem Teil unseres Namens Queerer Kultur ganz stark Rechnung tragen. Es wird immer wieder Ausstellungen, Veranstaltungen, Queerer Künstler und Künstlerinnen geben. Wir laden herzlich zu unserer Eröffnungsausstellung “Geschichte machen – Ein queeres Jahrtausend in 27 unglaublichen Objekten” ein. Wer aus der Geschichte verdrängt wird, muss sie eben selber machen!
Alle Infos zu den anstehenden Queer Walks noch im Juni findest du hier. Die sogenannten Queer Pride Walks im Juni sind alle kostenlos, man muss sich allerdings anmelden. Weitere Walks im Herbst werden auf der Website bekannt gegeben: von Grätzlführungen über das Schloss Schönbrunn bis zur Uni und zum Zentralfriedhof sind allerhand Schwerpunktthemen dabei! Hier geht’s zur Website von QWIEN.
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Alle Fotos: (c) heldenderfreizeit
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