Bei den Bridgertons wird wieder fleißig weiter geheiratet. Diesmal an der Reihe, den Schoß der Familie zu verlassen – oder zumindest eine neue Viscountess Bridgerton zu krönen: Der älteste Sohn Anthony. Unsere Kritik zu Staffel 2 der Netflix-Serie.
von Susanne Gottlieb
25. März 2022: Der Schock ist überwunden, die Tränen getrocknet – ja, der Duke Simon Bassett (Regé-Jean Page), Breakout Character der ersten Staffel, ist nicht dabei. Und auch wenn es in manchen Momenten komisch anmutet, dass er keinen Auftritt mehr hat, Bridgerton mangelt es sich nicht an anderen Figuren. Wer die Romanreihe von Julia Quinn kennt, weiß, dass jedes der acht Bücher von einem anderen Bridgerton und seinem Liebesleben handelt. So wie in der Vorlage ist das diesmal das Familienoberhaupt Anthony, der ältere Bruder von Daphne.
Am 25. März ist Staffel 2 auf Netflix gestartet. Welche Highlights der Mai dann bringt, gibt es hier in unserem Programm-Guide nachzulesen.
Heiraten will Anthony Bridgerton (Jonathan Bailey) eigentlich nicht. An die Liebe glaubt er auch nicht. Oder will sie zumindest vermeiden. Ehe ist für ihn, den Erben des Bridgerton Titels, nur eine Pflichtübung um den Fortbestand seiner Linie zu sichern. So beschließt er, nach der erfolgreichen Heirat seiner Schwester im Jahr davor, nun selbst eine Braut zu finden, die eine akzeptable Viscountess macht, und ihm reichlich Kinder schenkt. Seine rationale Wahl fällt auf die junge und wohlerzogene Edwina Sharma (Charithra Chandran). Die ist gerade mit ihrer Mutter Mary (Shelley Conn) und ihrer Halbschwester Kate (Simone Ashley) von Indien nach England gezogen. Der Auftrag der Familie – einen Ehemann für Edwina zu finden.
Überwacht wir die Suche von der resoluten Kate, die nur das allerbeste für ihre jüngere Schwester will. Als sie Anthony zum ersten Mal begegnet, scheint sie wie ihre Schwester auch von seinem Charme angetan zu sein. Doch als sie auf einem Ball nicht überhören kann, dass Anthony nicht an Liebe interessiert ist, wendet sich das Blatt. Nun versucht sie mit allen Mitteln, das intensive Werben des ältesten Bridgertons um Edwina zu unterbinden. Und wie so oft, nach einigen Wendungen und ein bisschen Gewissensprüfung, wird bald klar, dass sich auf diesem Schachfeld der Gefühle eigentlich eine ganz andere Liebeskonstellation herauszukristallisieren beginnt.
Erneut wirft uns Bridgerton in eine Parallelversion des Regency-Zeitalters, in dem Popmusik wie Material Girl und Wrecking Ball als klassische Musik im Hintergrund trällern, in selbst die heruntergekommenste Ecke Londons picksauber und freundlich wirkt, und in der sich optisch ein ganzer Malkasten scheinbar über die Leinwand ergossen hat. Wie schon in der ersten Staffel wurde auch für die neuen Figuren divers gecastet, aus den Sheffields der Buchvorlage werden die indischen Sharmas. Und auch wenn es gewisse Fanlieblinge nicht mehr gibt, so steigt die Handlung wie gewohnt locker-flockig in die gewitzten Schlagabtausche, die humorvolle Sinnsuche des Bridgerton Clans und in die starken Familienbande, die immer wieder betont werden.
Serienschöpfer Chris van Dusen, General des amerikanischen Serienimperiums von Shonda Rhimes (Grey’s Anatomy, Scandal, Private Practice), hatte schon in der ersten Staffel (hier unsere Kritik) die eher knappe Vorlage um zahlreiche Nebenhandlungen erweitert, einen breiteren Fokus auf andere Figuren gelegt und gewisse Elemente der Vorlagen chronologisch vorverlegt. Das half dabei, die doch sehr geradlinige Liebesgeschichte komplexer zu gestalten. Die zweite Staffel ist hier nicht anders, und doch scheint sie fast darunter zu leiden, dass van Dusen hier allzu viele Geschichten erzählen will.
So bekommt Penelope Featherington (Nicola Coughlan), die in der ersten Staffel bereits als die Gossip-Kolumne Lady Whistledown identifiziert wurde, abermals einen sehr ausgeprägten Anteil der Erzählung zugeschanzt. In den letzten drei Folgen überlagert ihr Konflikt, ihre Identität vor der besten Freundin Eloise Bridgerton (Claudia Jessie) geheim zu halten, fast die Spannungen zwischen Anthony und Kate. Van Dusen hat sich mit seinen Schreibern entschieden, den dritten Akt der Buchvorlage fast komplett umzuschreiben. Nachvollziehbar, wenn man bedenkt wie sehr sich einige Handlungselemente von Staffel 1 dort wiederholen. Dennoch versinkt er zu sehr in den vielen verschiedenen Strängen, die er in der Hand hält. Nach ersten Gefühlsregungen und einem dramatischen Wendepunkt in Folge 6 ist dann erst einmal die Luft raus. Die Frage, ob sich die beiden noch bekommen, wirkt wie ein nachträglicher Einfall.
Ebenso ist Bridgerton durch die Bank nicht so progressiv, wie es sich die Netflix-Serie präsentieren möchte. Eloise, die Feministin, wandelt sich immer mehr von einer Wohlstandsdame, die mit ihrem Schicksal nicht zufrieden ist, zu einer anstrengenden Nörglerin, die ihr eigenes Privileg nicht versteht und auch mit einer naiven Arroganz anderen Figuren gegenüber auftritt. Das wäre auch nicht verkehrt, wenn hier eine Lektion über weißen Eliten-Feminismus gelehrt werden würde. Aber die Serie, so scheint es, möchte ihr stets recht geben. Ebenso fällt das Skript bei Kate in die anscheinend auch 2022 noch so verführerische Falle, eine Frau als “sie ist anders als die anderen” zu schreiben. Kate ist “einer der Kerle”. Sie reitet, kann jagen, kennt sich mit Pferden aus. Indem sie als “männlich” konzipierte Eigenschaften zur Schau stellt, wird sie erst interessant.
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Mehr InformationenDas ruiniert zwar nicht ihren Charakter, denn Simone brilliert in der Rolle und ihre Chemie mit Bailey knistert förmlich, weißt aber neben dem fehlenden Fokus des Plots auf ein weiteres wesentliches Problem in der Umsetzung hin. Es ist somit wirklich weniger der fehlende Duke, der diese neue Staffel zu einer halbgaren Angelegenheit macht. Es ist vielmehr das Problem, dass die Autoren hier ein wenig den Faden verloren zu haben scheinen und sich bereitwillig in überholten Klischees wälzen.
Bridgerton macht zumindest zu Beginn wie gewohnt Spaß. Doch die Handlung verliert sich leider im letzten Drittel zu sehr in anderen Nebenhandlungen, das Ende wirkt etwas zwanghaft zusammengestückelt.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.