Im Schlosstheater Schönbrunn präsentiert der Puppenspieler, Schauspieler und Intendant Nikolaus Habjan noch bis 31. August 2025 seine Neuinszenierung der Operette Wiener Blut. Der erste Akt ist etwas holprig. Warum subtile Libretto-Überarbeitungen, starke Frauenfiguren oder eine Handpuppe die Schwächen dennoch ausgleichen, erklärt dir unsere Review.
von Christina H. Janousek, 14. 8. 2025
Das Johann-Strauss-Jahr 2025 ist voll im Gange. Neben der Eröffnung eines neuen Strauss-Museums am Naschmarkt (schau dir hier unser Video davon an), der Strauss-Dinner-Show im Mirage im Wiener Prater (mehr dazu hier) oder dem Zirkus-Spektakel Cagliostro im Circus-Theater Roncalli reiht sich auch das Schlosstheater Schönbrunn in die Festivitäten zu Ehren des Walzerkönigs ein.
In Wiener Blut tauchen wir in die Zeit des Wiener Kongresses ein. Hier wurde der zuvor moralisch verpönte Wiener Walzer salonfähig. Auch die Standesunterschiede gerieten auf dem Tanzparkett ins Wanken. Ein beliebtes Motto des österreichischen Diplomaten Carl Joseph Fürst von Ligne lautete:„Der Kongress tanzt, aber er kommt nicht vorwärts.” Die politischen Verhandlungen zur Neuordnung Europas nach der Niederlage Napoleons stagnierten. Dafür unterhielten sich Diplomaten und Politiker prächtig auf Bällen – ein Thema mit ungebrochener Aktualität.
Balduin Graf Zedlau (David Kerber), ein Diplomat aus dem deutschen Reuß-Greiz-Schleiz , wird nach Wien entsandt, um an den Verhandlungen des Wiener Kongresses mitzuwirken. Balduin hat aber kein Interesse an seinen politischen Pflichten.
Galt er in den Augen seiner Gattin Gabriele (Nicola Hillebrand) zunächst als Langweiler, ist er nun – von Wiens Charme ergriffen – beschäftigt damit, seine Affären heimlich in den Griff zu kriegen: die Tänzerin Franziska Kagler/Cagliari (Anett Fritsch) und die Probiermamsell Pepi Pleininger (Sophie Mitterhuber). Auch Fürst von Ypsheim- Gindelbach (Alexander Strömer) ahnt als Moralapostel nichts von den Liebeseskapaden. Ein Netz aus Versteckspielen und ungeplanten Zusammentreffen sorgt für amüsante Missverständnisse, die gemäß dem Titel dem Wiener Blut geschuldet sind.
Die Idee, das Publikum in die Szenerie zu integrieren und die Schlossanlage zum Teil des Bühnenbilds (Heike Vollmer) zu machen, geht im ersten Akt noch nicht auf – und das trotz des eher kleinen Theatersaals, der für gewöhnlich einen immersiven Effekt begünstigt.
In der Döblinger Villa des Grafen dominieren drei Alkoholflaschen, aus denen sich die Tänzerin ihren Liebeskummer wegtrinkt, ein cremefarbenes Sofa, weiße Türen und eine vergoldete Wendeltreppe mit marineblauem Hintergrund. Stattdessen hätte die Szene kräftigere biedermeierliche Farbakzente, feiner ausgearbeitete Details und weniger statische Requisiten vertragen, um die beschwingte Tanzmusik (Hannah Eisendle) visuell widerzuspiegeln.
Die Szenen beim Kostümball des Grafen Mitrowski und im Garten eines Hietzinger Heurigen punkten hingegen durch den Einsatz eines geneigten Spiegels. Dieser ist über dem Bühnenboden angebracht und erlaubt dem Publikum, das Geschehen aus der Vogelperspektive mitzuverfolgen. Es entsteht eine lebendigere Atmosphäre, begleitet vom Polka-Couplet Drauß’ in Hietzing gibt’s a Remasuri oder vom klassischen Walzer Wiener Blut. Hier werden die prachtvollen Kostüme (Denise Heschl) über eine Sitzgarnitur in Epaulettenform zu sichtbaren Machtsymbolen.
Habjans Klappmaulpuppe in einer Theaterloge – leider mit zu wenig Auftritten – und eine Stimme aus dem Off kommentieren das Geschehen selbstreflexiv und bissig oder adressieren das Publikum. Mal verkörpert die Puppe einen fiktiven betagten Grafen Mitrowski, mal schimmert Kaiser Franz II. durch, der Staatskanzler Metternich in außenpolitischen Belangen die Bühne bot. (Interessant: Der geistig zurückgebliebene und u. a. durch epileptische Anfälle regierungsunfähige Ferdinand I., der als Sohn von Franz II. 1835 den Thron bestieg, wird oft als Metternichs Marionette verhöhnt. Metternich übernahm großteils dessen Amtsgeschäfte in einer Geheimen Staatskonferenz).
Das Durchbrechen der vierten Wand erinnert an Versuche, die Zensur zu umgehen. Politische Themen waren 1814/15 auf der Bühne tabu. Selbst mit Improvisationen assoziierte Puppen wie der Kasperl, der oft Obrigkeiten verlachte, waren vom Staat verpönt. Habjan orientiert sich an Dramaturgen wie Johann Nestroy. Für die Zensur schrieb letzterer eine entschärfte Textfassung, die eigentlichen bissigeren Bühnenfassungen baute er in die Rollenbücher für die Proben ein. So wird Habjans Puppe grantig, wenn ihr eine „Souffleuse“ zuspricht.
Auch das Hauptensemble, das gelegentlich Ereignisse aus dem 21. Jh. zur Sprache bringt (z. B. das 200. Strauss-Jubiläum), moderne Witze reißt, derberes Wienerisch spricht und flucht, steht in dieser Tradition. Die Frauenfiguren haben deutlich mehr Rückgrat als im Original. Gabriele und Franziska konfrontieren einander, Pepi steht zu ihrer Herkunft, wehrt Annäherungsversuche ab und prangert die gesellschaftliche Doppelmoral an.
Trotz des holprigen ersten Akts ist Nikolaus Habjan eine frische, clever ausbalancierte Inszenierung geglückt, die das Original respektiert und bedacht modernisiert. Wiener Blut, 1899 posthum uraufgeführt, nimmt ohnehin einen Sonderstatus im Strauss’schen Œuvre ein: Es ist keine neue Operette, sondern eine Collage aus dessen bereits bestehenden Walzern, Polkas und Märschen, die Adolf Müller Jr. erlesen und zu einem bruchlosen Musikteppich verwoben hat.
Die Frage, ob Strauss Viktor Léons und Leo Steins Libretto autorisiert hat oder eine Nachlassexploitation betrieben wurde, ist bis heute nicht geklärt. Habjan strapaziert den Interpretationsspielraum nicht, sondern setzt pointierte Akzente: Handpuppe, Improvisationen, Meta-Kommentare und eine Metternich-Parodie tragen die Aufführung – gemäßigt, aber dennoch wirkungsvoll. Gesanglich und schauspielerisch überzeugen alle Darsteller.
Das Stück läuft noch bis 31. August. Kartenpreise und Termine findest du hier.
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Alle Fotos (außer Foto 2): © Victoria Nazarova, Foto vom Theatersaal: © Linda Koprowski