Julian Farinos SKY-Miniserie Amadeus verleiht dem Mythos um Mozarts Rivalität mit dem italienischen Hofkapellmeister Salieri ein neues Gewand. Ob sie sich von einer anderen historischen Mozart-Fiktion abheben kann und mit mehr Biss überzeugt, erfährst du in unserer Review.
Christina H. Janousek, 22. 12. 2025
Kaum hat das Jahr 2026 mit Mozarts 270. Geburtsjubiläum Einzug gehalten, ist der „exaltierte Virtuose“ schon allgegenwärtig. ARD und SKY warten durch Mozart/Mozart und Amadeus bereits mit Produktionen zu Leben und Werk des Salzburgers auf.
Wie bereits im Falle von Miloš Formans Film Amadeus (1984) nimmt auch Farinos Serie Peter Shaffers gleichnamiges Theaterstück als Vorlage – mit dem japanischstämmigen Briten und White-Lotus-Darsteller Will Sharpe als Mozart und dem versatilen Schauspieler Paul Bettany als Salieri. Welches Bild zeichnet Farino von zwei der legendärsten Musikfiguren an der Wende zwischen Spätbarock und Klassik / Aufklärung? Kann er das Verhältnis zwischen Fakt, Fiktion und Legende versöhnlich ausbalancieren?
Wien um 1781. Der 25-jährige Mozart betritt Wiens Musikszene, nachdem er seine Stelle als Hofkomponist in Salzburg bei Erzbischof Colloredo gekündigt hat. Sehr zum Missfallen seines Vaters Leopold Mozart (Jonathan Aris). Wolfgang will seinen Traum vom freien Künstlerleben verwirklichen – unabhängig von Institutionen wie Kirche und Staat.

Aber: Mozart besitzt keine feste Anstellung, lebt von Auftragsarbeiten und ist finanziell auf die Gunst wechselnder Mäzene angewiesen. Zwar verfügt er über zahlreiche Kontakte zu einflussreichen Geldgebern, die Leopold seinem Sohn seit Kindertagen auf ausgedehnten Europareisen vermittelt hat. Trotzdem ist seine berufliche Zukunft in Wien unsicher.
Zwischen 1782 und 1786 hält sich Mozart mit (Klavier-)konzerten, Klavierunterricht und seinem ersten großen Opernerfolg Die Entführung aus dem Serail (1782) über Wasser. Ab Ende der 1780er Jahre werden die Aufträge aber spärlicher. Der Publikumsgeschmack wird unberechenbarer. Auch die Konkurrenz durch italienische, finanziell gesicherte Hofkomponisten wie Antonio Salieri setzt Mozart unter Druck.
Als Salieri Zeuge von Mozarts Genie wird, zerfrisst ihn der Neid. Warum segnet Gott einen so vulgären Menschen mit einer derart himmlischen Gabe – und straft ihn selbst mit Mittelmäßigkeit?

Eine besondere Stärke von Amadeus liegt im spielerischen Umgang mit der bewussten Verzerrung historischer Fakten und dem Bedürfnis, biografische Lücken aus Sensationslust und romantischer Genieästhetik zu füllen – ein Zugriff, der sich bereits auf einer erzählerischen Metaebene entfaltet und bisweilen ins Absurde kippt. Wie schon bei Miloš Forman wird die Handlung zunächst rückblickend aus der Perspektive eines senilen Salieri mehrere Jahre nach Mozarts Tod erzählt – hier allerdings in Gegenwart von Mozarts Gattin Constanze (Gabrielle Creevy) statt eines Priesters wie noch bei Forman. Salieri legt dabei ein vermeintliches Geständnis ab, Mozart aus Neid vergiftet zu haben.
Zum ersten Mal wird Salieri auf Mozart aufmerksam, als er den ungenierten Salzburger während einer Audienz bei Joseph II. (Rory Kinnear) inflagranti bei einem Techtelmechtel mit der Opernsängerin Katharina Cavalieri (Jessica Alexander) ertappt.
Diese begrenzte Perspektive eines Voyeurs wird aber bewusst aufgebrochen. Im Gegensatz zu Forman lässt Farino den russischen Lyriker Alexander Puschkin knapp 40 Jahre nach Mozarts bzw. sieben Jahre nach Salieris Tod in einem fiktiven Gespräch mit der verwitweten Constanze Mozart auftreten. Bei Farino drängt Pushkin Mozarts Witwe sogar dazu, ihr Stoff für sein Theaterstück Mozart und Salieri (1830) zu liefern. Puschkin ist tatsächlich der erste Autor, der die Legende vom aus Neid mordenden Salieri literarisch fixiert hat. Entsprechende Gerüchte waren aber schon unmittelbar nach Mozarts Tod im Umlauf.
Interessante Fußnote: Laut der echten Constance hat der an Frieselfieber erkrankte Mozart in seinem Sterbebett Befürchtungen über eine mögliche Vergiftung verlautbart. Gut möglich, dass er das wegen der damaligen medizinischen Unkenntnis glaubte und nebenbei noch halluzinierte. Damit hätte Mozart das Gerücht indirekt selbst ins Leben gerufen. Mehr zu Verschwörungstheorien um Mozarts Tod – etwa zur angeblichen Beteiligung der Freimaurer oder zu Salieris mutmaßlichem Mordgeständnis gegenüber Ignaz Moscheles – findest du hier und hier.
Die Serie überlässt es dem Publikum, selbst zu entscheiden, was es glauben möchte. Und vor allem, was glaubwürdig erscheint und was mit einem Augenzwinkern an die Wand gefahren wird. Die Rückblenden wechseln zwischen Mozarts Kindheit, geprägt vom Musikunterricht unter väterlichem Druck, und seinem jungen Erwachsenen-Leben in Paris, das vom Tod der Mutter überschattet wird. Das schafft Amadeus ohne Pathos oder psychoanalytische Übertreibung.
Salieri versteht den Künstler als Sprachrohr Gottes. Für ihn ist Kunst ein religiöser Dienst, geprägt von Disziplin und festen Regeln. Mozart erscheint dagegen als undogmatisches, emotionales und impulsives Naturtalent, dessen Denken stark freimaurerisch beeinflusst ist. In Farinos Amadeus werden diese Gegensätze aber nicht vereinfacht ausgespielt, sondern bewusst miteinander vermischt. Genau dadurch wird der Übergang vom Barock zur Klassik und zur Aufklärung anschaulich.

Salieri ist hier kein keuscher, asketischer Gegenspieler wie noch bei Miloš Forman. Je stärker er mit Mozarts Musik in Berührung kommt – insbesondere mit dessen erstem großen Opernerfolg Die Entführung aus dem Serail, der offen über Sexualität, Begehren und Treue verhandelt –, desto mehr beginnt auch er, seinen eigenen körperlichen Impulsen nachzugeben. In der Hoffnung, Mozarts Genie durch einen ‚profaneren“ Lebensstil nachempfinden zu können, entfernt er sich zunehmend von seinem strengen Selbstbild. Und das, obwohl er bei Farino verheiratet ist.
Umgekehrt erkennt Mozart kurz vor seinem Tod Salieris musikalische Begabung ausdrücklich an. Während der Arbeit am Requiem lässt er ihn an dem Werk teilhaben. Zugleich gesteht er, seine eigene „Gabe“ weniger als Segen denn als Last zu empfinden. Auf diese Weise wird beiden Figuren Rechnung getragen. Mozart wie Salieri erscheinen mit ihren Erfolgen ebenso wie mit ihren Zweifeln, künstlerischen Blockaden und Schwächen.

Historisch gut umrissen ist die pragmatische Haltung Josephs II gegenüber Mozarts Werken. Er wollte, dass Opern für ein breites Publikum verständlich und pädagogisch wirksam sind. Mit ihrer Mischung aus Drama, Komödie, Übernatürlichem und Moral waren viele von Mozarts Stücken für seine Ansprüche zu komplex. Er erkannte allerdings Mozarts außerordentliches musikalisches Talent an. Er schätzte Werke, die dem Publikum leicht verständlich waren und den Volkssinn perfekt trafen.
Am glaubwürdigsten zeigt sich die Rivalität dort, wo sie tatsächlich historisch greifbar wird: im Wiener Opernbetrieb. Beide Komponisten arbeiteten mit demselben Librettisten, Lorenzo Da Ponte (Enyi Okoronkwo), der Texte sowohl für Mozart als auch für Salieri schrieb. Das verstärkte die Wahrnehmung von Konkurrenz – nicht als persönliche Feindschaft, sondern als strukturellen Wettbewerb innerhalb eines stark reglementierten Systems.
Vor diesem Hintergrund sind die in der Serie gezeigten Intrigen Salieris gegen Mozart historisch nicht vollständig belegbar, geschweige denn gerechtfertigt. Dazu zählen etwa solche rund um Le nozze di Figaro (1786) und die Zensurmaßnahmen Josephs II., Die Zauberflöte (1791) oder den anonymen Auftrag des Requiems (1793). Trotzdem vermitteln sie ein insgesamt plausibles Bild der Konkurrenz im Wiener Opernbetrieb des späten 18. Jahrhunderts.

Das Bild vom genialen, unersättlichen Mozart als Womanizer gehört zu den zähesten Klischees der Musikgeschichte. Es bleibt auch dann problematisch, wenn es immer wieder neu erzählt wird. Zwar gab es in der Ehe von Constanze und Mozart immer wieder Spekulationen über mögliche Untreue auf beiden Seiten. Gelegenheiten hätte es dazu angesichts Mozarts zahlreicher Reisen gegeben. Belegt ist davon aber wenig bis gar nichts. Dass Farino dieses Narrativ trotzdem so prominent ausstrapaziert, wirkt weniger historisch notwendig als dramaturgisch bequem. So wird der verheiratete Mozart unabhängig von sozialem Stand in gleich mehrere Affären verwickelt – mit der Nichte Josephs II. ebenso wie mit einer Prostituierten.
Parallel dazu erhält Constanze eine Beziehung zu Franz Xaver Süßmayr (Jyuddah Jaymes), jenem Komponisten, der später Mozarts Requiem vollendete. Historisch ist das kaum haltbar und wirkt wie eine kalkulierte Zuspitzung, die bekannte Mythen weiter bedient, statt sie zu hinterfragen.

Gleichzeitig lässt sich der Zugriff nicht völlig abtun. Farino nutzt das überzeichnete Beziehungsgeflecht gezielt, um auf einen blinden Fleck der Rezeptionsgeschichte hinzuweisen. Constanzes eigenes Gesangstalent wurde vom Ruhm ihres Mannes systematisch überstrahlt. In der Serie bleibt ihr kaum ein anderer Weg zur Anerkennung, als sich über die Wertschätzung eines Komponisten zu definieren. Das ist ein Befund, der weniger über Constanze als über die kulturellen Machtverhältnisse der Zeit aussagt. Weil Constanze Mozarts Genie nach seinem Tod erfolgreich ‚vermarktete’, wird sie wie Salieri auf die Rolle des bloßen Nebenakteurs reduziert. (Fun Fact: Der historische Salieri war ein durchaus erfolgreicher Komponist und ein seriöser Pädagoge. Er unterrichtete sogar Mozarts jüngsten Sohn Franz Xaver Wolfgang Mozart.) Die Serie trifft hier einen wunden Punkt: Sie zeigt, wie Erinnerungskultur funktioniert – und wen sie dabei systematisch unsichtbar macht.
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Mehr InformationenAmadeus ist ein ästhetisch überzeugendes Gedankenspiel – ein historisches „Was wäre wenn?“. Die Serie vermeidet eindeutige Wahrheiten und gewinnt gerade daraus ihren Reiz. Regisseur Julian Farino verzichtet auf zu viel barocken Pomp und setzt auf Selbstreflexion und Meta-Kommentare. Sein Mozart ist rebellisch mit einem bisweilen obszönen Humor. Allerdings ohne rosa Perücke oder infantil-hysterisches Dauerlachen wie noch bei Miloš Forman. Farinos Salieri ist vielschichtig und verletzlich.
Nicht jede Zuspitzung überzeugt. Viele eröffnen aber neue Lesarten, ohne belehren zu wollen. Durch den romantischen Dichter Pushkin zeigt die Serie, wie Salieri und Mozart Opfer nationaler Idolisierung wurden. Mozart starb nur wenige Jahre nach dem Ausbruch der Französischen Revolution. Diese historische Zäsur begünstigte die Entstehung moderner Nationalstaaten. Jetzt konnten Länder ihre kulturellen Idole nachträglich für sich beanspruchen: das östereichische Genie vs. der böse italienische Rivale. Und ja: Bei einem Mozart, der von einem japanischen Schauspieler verkörpert wird, darf man auch einmal beide Augen zudrücken.
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Fotos: © SKY
