Seit 13. März ist die Serie Adolescence auf Netflix verfügbar. Seither hat sie viel Staub aufgewirbelt. Wir verraten euch, warum sie so gelungen ist und sich von ähnlichen Serien abhebt.
von Susanne Gottlieb, 18. 3. 2025
Ein Teenager-Mörder. Social Media. Incel Culture. Die Frage, welche Anzeichen man versäumt hat. Das sind nur einige der Komponenten, die die Autoren Stephen Graham und Jack Thorne in ihre Miniserie verpackt haben. Wohl einer der Gründe, warum Adolescence so dermaßen eingeschlagen hat. Graham wurde von dem Anstieg an Messerverbrechen in Großbritannien inspiriert. Ausgehend von dem realen Mord an Ava White, beschloss er, ein Drama zu schreiben, das die Motive extremer Gewalttaten von Jungen an Mädchen erforscht.
Wir verraten euch, warum auch ihr die Serie mit gerade einmal vier knackigen Episoden unbedingt streamen solltet.
In einer englischen Stadt verhaften die Detectives Luke Bascombe (Ashley Walters) und Misha Frank (Faye Marsay) den 13-jährigen Jamie Miller (Owen Cooper) wegen des Mordes an seiner Klassenkameradin Katie Leonard. Jamie wird zunächst auf das Polizeirevier gebracht, wo er im Beisein seines Vaters Eddie (Stephen Graham) alles verneint. Doch die Ermittler nageln ihn als bald mit einem Überwachungsvideo fest, das offenbar zeigt, das Jamie Katie auf einem Parkplatz niedergestochen hat. Allein, das Motiv und die Tatwaffe fehlen zunächst.
Was hat den jungen, durchaus intelligenten Burschen dazu getrieben, Katie umzubringen. Die Ermittler, sowie die Psychologin Briony Airston (Erin Doherty) versuchen Licht in die Sache zu bekommen und geraten in einen Strudel aus Mobbing, sozialen Medien, Incel-Subkultur und einem überlasteten Schul- und Elternsystem, in dem Warnsignale vor lauter Sinneseindrücken in einer prägenden Phase wie der Pubertät übersehen werden.
Was macht einen jungen Burschen zum Mörder? Und wie können einem die ersten Anzeichen entgehen? Das Ausgangsmaterial hätte sicher für jede durchschnittliche Krimiserie als Fall der Woche gereicht. Doch Adolescence gräbt tiefer, versucht nicht für alles Antworten zu finden und zeigt dadurch genau jene Ambiguität und Hilflosigkeit, die auch wir in der Realität gegenüber solchen Geschehnissen empfinden. Wie können wir mithalten, was die Jüngsten auf Social Media sehen? Wie gehen traditionell-altmodisch erzogene Männer mit der Tatsache um, dass Frauen nun die Wahl haben und sie nicht mehr brauchen? Graham hat sich bereits wiederholt als hervorragender Charakterdarsteller empfohlen. Hier beweist er nun, dass er auch durchaus schreiben kann. Keine einfach gezeichneten Figuren, keine oberflächlichen Figuren, keine einfachen Antworten.
Adolescence möchte keine Moralkeule sein. Es versucht auch nicht einmal wie sonst die eher konservativ gehaltenen Krimiserien, die Täter zu verteufeln und die Polizeiarbeit hochzustilisieren. Die Serie stellt unbequeme Fragen. Zeigt die Arroganz auf beiden Seiten, die zu solchen Tragödien führen kann. Dabei glänzt sie vor allem dank dem jungen Hauptdarsteller Owen Cooper, der hier sein Schauspieldebüt gibt, und in nächster Zeit wohl noch gut beschäftigt sein wird. Dieser schafft es trotz seiner jungen Jahre Jamie sowohl den Touch eines kleinen ängstlichen Jungen, aber auch eines eiskalten egozentrischen Psychopathen zu geben. Junge Burschen, die radikalisiert werden in dem Glauben, dass Frauen und Aufmerksamkeit ihnen zustehen.
Auch optisch macht das Werk einiges her. Gefilmt in langen Plansequenzen ist jede Episode eine in sich geschlossene, dramatische dichte Anthologie eines Ermittlungsabschnitts. Episodenhafte Eindrücke, Lücken, keine klare Antwort ist auch hier die Devise. Wer genau schaut, wird vielleicht hin und wieder einen gut versteckten Schnitt finden. Aber es ist nicht nur die Kameraarbeit selbst. Regisseur Philip Barantini, der schon den ebenfalls in einer langen Plansequenz gedrehten, exzellenten Boiling Point mit Stephen Graham gedreht hatte, versteht es mittels plötzlicher Wechsel in Musik und Licht die Stimmung zu kippen. Alles, ohne in Klischees abzudriften oder zu stark Emotionen evozieren zu wollen.
Am Ende wirs man aus der Serie aussteigen und das Gefühl haben, nur einen Bruchteil dieser Figuren verstanden zu haben. Aber das ist auch der Punkt. Letztendlich präsentiert sich immer nur ein Schnappschuss der Realität, der Kausalität, die zu solch einem Verbrechen geführt hat. Doch in Momenten wie etwa wenn Detective Bascombe sich entscheidet, seinen eher von ihm vernachlässigten Sohn zum Essen einzuladen, um Zeit mit ihm zu verbringen, entfalten sich doch sachte so etwas wie Lektionen fürs Leben. Man kann nicht alles kontrollieren oder verhindern. Aber man kann sich um seine Lieben kümmern und schauen, dass es ihnen gut geht.
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Mehr InformationenEine gelungene, unbequeme Frage an die Zuschauer, die keine so einfachen Antworten liefert. Nicht verpassen.
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Aufmacherfoto: (c) Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.